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Bildungsstreik 2009

21. Juni 2009

Bericht von der Tübinger Aktionswoche vom 15. bis 19. Juni 2009:

Im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks vom 15. bis zum 19. Juni fanden auch in Tübingen verschiedenste Protestaktionen statt.

Konkrete Forderungen an die Bildungspolitk waren zuvor in einem offenen Workshop auf dem RACT!-Festival mit SchülerInnen, Studierenden und weiteren Interessierten ausgearbeitet worden.

Eine reduzierte Version der Forderungen, die sich auf die Kritikpunkte an den Hochschulen beschränkte, konnte so am Montag von einer Delegation des Tübinger Bildungsstreik-Bündnisses an den Uni-Rektor Bernd Engler überreicht werden.

Bereits bei dieser Gelegenheit wurde Herrn Engler mitgeteilt, dass die Studierenden ihn am Dienstag um 15:30 Uhr im Rektorat erneut aufsuchen würden, um die Forderungen unterschrieben wieder abzuholen.

Dienstag
Am Dienstag besuchten daraufhin ca. 30 Studierende das Rektorat, wo sie Herrn Engler zunächst nicht antrafen, der in seinem abgeschlossenen Büro nach eigenen Angaben noch ein Presse-Interview gab.

Die Gruppe entschloss sich daraufhin spontan den Flur des Rektorats zu besetzen. Daraufhin wurde auch ein Transparent aus dem ebenfalls besetzten Wartezimmer des Rektorats gehängt, um die Aktion symbolisch nach außen zu verdeutlichen.
aus dem besetzten Rektorat hängt ein Banner des Bildungsstreiks

Nach einer halben Stunde erschien Herr Engler kurz bei den Protestierenden und signalisierte Bereitschaft zur Diskussion, verabschiedete sich aber schnell um seine Sprechstunde in der Neuen Aula wahrzunehmen und kündigte seine Rückkehr ab 19 Uhr an.

Als Bernd Engler gegen 19:20 Uhr ins Rektorat zurückkehrte, ergab sich eine etwa eineinhalbstündige Diskussion über die Forderungen, die er aber im ganzen nicht zu unterschreiben gewillt war. Für den nächsten Tag allerdings konnte eine öffentliche Diskussion zwischen Studierenden und Rektorat vereinbart werden, die im Anschluss an die geplante Demonstration um 13:15 Uhr im kleinen Senat der Neuen Aula stattfinden sollte.

Mittwoch
Wie in über 100 weiteren Städten demonstrierten am Mittwoch in Tübingen SchülerInnen und Studierende für eine bessere Bildung und somit auch gegen Studien- und Ausbildungsgebühren, gegen Zulassungsbeschränkungen und die soziale Selektion im Bildungswesen, gegen Tendenzen der Verschulung des Studiums, die vor allem durch die unangemessene Reglementierung im Rahmen der Bachelor-Studiengangänge entstanden waren, gegen den Eingriff von Wirtschaftslobbyisten auf schul- oder univeritätsinterne Entscheidungen und für eine freie, individuelle und eigenverantwortliche Bildung für alle. Zudem sollte mit den Protesten auch eine öffentliche Debatte über das Bildungsstem angestoßen werden.

Die Fachschaft Psychologie blockierte auf originelle Weise schon vom frühen Morgen an das Psychologische Institut an der Blauen Brücke: Der komplette Eingangsbereich zum Institut war mit einer Unzahl an Plastikbechern zugestellt, die alle bis zum Rand mit Wasser gefüllt waren. Um die Zeit bis zur Demo zu verkürzen, gab es umsonst Kaffee und Kekse für alle, außerdem wurden vor dem Institut Flyer und Streik-Zeitungen verteilt.
Um 9:05 Uhr setzte sich der Protestzug der Fachschaft Psychologie dann an der Blauen Brücke in Richtung Europaplatz in Bewegung. Dort trafen die „Psychos“ auf die streikenden SchülerInnen, die sich seit 8:30 Uhr zu ihrer Auftaktkundgebung dort versammelt und zwischenzeitlich noch von SchülerInnen aus Reutlingen Verstärkung bekommen hatten.

Direkt nach dem Eintreffen der Psychologen setzte sich der Demonstationszug gegen 9:10 Uhr am Tübinger Hauptbahnhof in Bewegung und zog durch die Uhlandstraße, wo sich weitere SchülerInnen anschlossen. Am Tagblatt-Eck vorbei über die Neckarbrücke zog der noch hauptsächlich von SchülerInnen geprägte Demo-Zug in Richtung Neuer Aula.
Dort war für 10 Uhr die Zwischenkundgebung der Studierenden vorgesehen, die hier offiziell zur Demonstration hinzustoßen sollten.

Neben David Laehnemann, der für das Streikbündnis sprach, redete auch eine Personalrätin, die sich im Namen der Universitätsangestellten mit den Protesten der Demonstrierenden solidarisierte.

Zu diesem Zeitpunkt befanden sich über 2500 Schülerinnen und Schüler, Studierende, Auszubildende sowie weitere solidarische Menschen auf dem Geschwister-Scholl-Platz.

Die gemeinsame Demonstration von SchülerInnen, Studierenden und Auszubildenden wie etwa den MTAs (Medizinisch Technische AssistentInnen) setzte sich gegen 10:30 Uhr vor der Neuen Aula in Bewegung, bog von der Wilhelmstraße in die Hölderlinstraße ab und setzte ihren Weg über die Rümelinstraße und die Kreuzung an der Kelter fort bis durch die Altstadt hin zum Holzmarkt, wo die Abschlußkundgebung stattfand.

Auf der Abschlußkundgebung gab es nochmal Redebeiträge von SchülerInnen und Studierenden, die die Gemeinsamkeiten der jeweiligen Anliegen betonten. Der Platz war gut gefüllt mit Menschen, im Brunnen auf dem Holzmarkt standen zwei Studentinnen mit einem Transparent: „Die Bildung geht baden“
Bildungsstreik Abschlußkundgebung am Holzmarkt

Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits einige Studierende entschlossen den Straßenverkehr im Bereich des Stadtgrabens zu blockieren. Sie waren beim Überqueren der Kreuzung durch den Demonstrationszug einfach sitzen geblieben.
Nachdem die Kundgebung auf dem Holzmarkt bereits gegen 11:50 Uhr beendet und die Demonstration damit offiziell aufgelöst worden war, kamen immer mehr Teilnehmer der Demonstration und hielten die Kreuzung besetzt. Ungefähr gegen 12:00 Uhr beschlossen die BesetzerInnen Ihre Aktion am Lustnauer Tor fortzusetzen, so dass sich ein spontan selbstorganisierter Protestzug in Richtung Lustnauer Tor bewegte, wo die Blockade zunächst nur einen Teil der Straßen, dann aber die gesamte Kreuzung erfasste. Die Stimmung war ausgelassen. So etwas hatten die Studierenden zuletzt im Anschluss an die Schlossbesetzung im Juli 2006 erlebt und da war es „nur“ die Wilhelmstraße gewesen, die für kurze Zeit besetzt gehalten wurde.

Während ein Teil der BesetzerInnen auf der Kreuzung bleiben wollte, gab es andere, die zur Diskussion mit dem Rektorat in die Neue Aula gehen wollten. Doch obwohl eine Gruppe von etwa 50 Leuten gemeinsam ins Rektorat aufbrach, konnte die Besetzung weiterhin problemlos aufrecht erhalten werden.

Aufgrund des Andrangs wurde das Gespräch mit Uni-Rektor Engler vom kleinen in den großen Senat verlegt. Neben dem Rektor waren auch alle anderen Mitglieder des Rektorats, wie etwa die Prorektorin für Studium und Lehre Stefanie Gropper, zur Diskussion erschienen. Auch die Presse war anwesend.
Während der Diskussion wurde Bernd Engler auf seinem Handy von Tübingens grünem Oberbürgermeister Boris Palmer angerufen, der ihn um Hilfe bei der Kreuzungsbesetzung bat. Engler sollte zur Kreuzung kommen um dort mit den Studierenden über eine Auflösung der Besetzung zu verhandeln.
Da Engler die Studierenden im Raum dazu einlud mit ihm auf die Kreuzung zu gehen, bekam die dortige Blockade weiteren Zulauf. Über eine mobile Soundanlage wurde noch bis 16 Uhr mit Rektor Engler und Stefanie Gropper diskutiert, dann löste sich die Besetzung langsam auf.

Zum Abschluss der lauten Proteste lud die Freie SchülerInnen Organisation alle SchülerInnen, Studierenden und Auszubildende zur Aftershow-Party ins Epplehaus ein.

Parallel zu den Aktionen am Lustnauer Tor fand der ursprünglich für 14:30 Uhr im Kupferbau angedachte Workshop „Warum diese Gesellschaft ein Bildungssystem hat das zu ihr paßt“ mit leichter Verspätung um 15 Uhr statt. Er war zwar aufgrund der immer noch anhaltenden Besetzung mit insgesamt nur 10 TeilnehmerInnen eher schwach besucht, dafür war aber unter letzteren das Verhältnis zwischen SchülerInnen und Studierenden sehr ausgewogen.

Der Vortrag von Kim Dienelt zur Ökonomisierung des Bildungswesens und der Geschichte der Studiengebühren konnte planmäßig um 16:15 Uhr im Kupferbau beginnen. An den Vortrag schloß sich eine Diskussion über die Finanzierung des Bildungssystems an, bei der auch nochmal über die Statements des Rektorats bei der Straßen-Besetzung gesprochen wurde.

Zeitgleich zum Vortrag lief auf der Wüsten Welle das Bildungsmagazin, in dem zwei AktivistInnen des Bildungsstreiks die bisherigen Aktionen in der Protest-Woche nochmal komprimiert schilderten. Die Daheimgebliebenen konnten dabei anhand von Interviews und anderen Aufzeichnungen einen ungefähren Eindruck von der Lebendigkeit und sozialen Dynamik der Proteste gewinnen. Teile der Sendung kann man unter http://radio.ernst-bloch-uni.de/2009/06/bildungsstreik-special-am-17-juni/ auf der Seite des Bildungsmagazins online nachhören.

Donnerstag
Den Abschluß der Bildungsstreik-Woche bildete der Auftritt der Studiengebühren-Protest-Legende Till Timmermann. Unterstützt von vier Securities und seinen zwei Hostessen begrüßte der inoffizielle Mitarbeiter des Bildungsministeriums sein verdutztes Zwangspublikum am Donnerstag mittag gegen 12:30 Uhr in der Mensa Wilhelmstraße. Dabei beglückwünschte er die Tübinger Studierenden zu seinem Besuch („Weil Ihr mich verdient habt“) und freute sich über die den Raum dominierende Atmosphäre von Passivität und Toleranz gegenüber Einschnitten in der Bildungspolitik, bevor er unter verhaltenem Beifall zum Umziehen ins Clubhaus zurückkehrte.

Aus Sicht der Organisatoren war die Bildungsstreik-Woche in Tübingen ein voller Erfolg. Seit langem war es nicht mehr möglich soviele Menschen für Bildungsproteste auf die Straße zu holen.
Auch das Medienecho kann sich sehen lassen: In der lokalen Tageszeitung, dem Schwäbischen Tagblatt, war im Vorfeld der Proteste eine Seite der Jugendredaktion „Flugplatz“ zum Bildungsstreik erschienen und in Folge des Aktionstags waren am Donnerstag, Freitag und Samstag verschiedene Nachberichte und Hintergrund-Artikel zu lesen, in denen die Themen und Forderungen des Protests inhaltlich aufgriffen wurden. Am Donnerstag hatte es die Besetzung des Lustnauer Tors auf die Titelseite der überregionalen „Südwest Presse“ geschafft und auch das Lokalfernsehen RTF1 sowie das Reutlinger „Campus TV“ widmeten den lokalen Bildungsprotesten jeweils einen ausführlichen Bericht.
Durch die bundesweite Vernetzung der zeitgleichen Protestaktionen dürfte es nur bei konsequentem Medienverzicht möglich gewesen sein, nichts von den Protesten mitzubekommen. Der Bildungsstreik war bundesweit in lokalen und überregioalen Medien ein wichtiges Thema.

Das Bildungsstreik-Team möchte sich bei allen die diesen Erfolg erst möglich gemacht haben bedanken. Die spontane Solidarität vieler Menschen, wie etwa der Bauarbeiter auf der Kreuzung am Lustnauer Tor, war uns Ansporn für mehr und Bestätigung unseres bisherigen Engagements. Auch die Polizei hat sich bei den Aktionen am Mittwoch kooperativ verhalten und damit zum Erfolg der bunten und friedlichen Proteste beigetragen.

Wir denken, dass wir durch die Streikwoche effektiv auf die vielfältigen Probleme im Bildungssystem aufmerksam machen konnten und wünschen uns, dass unsere Forderungen auch außerhalb von Aktionen zivilen Ungehorsams weiterhin wahrgenommen werden.

Nachdem inzwischen deutlich geworden ist, wieviel Energien der Protest gegen das bestehende Bildungssystem mobilisieren kann, könnte es künftig weitere Aktionen im Sinne des Bildungsstreiks geben.

Offenes Nachtreffen
Um die Organisation des gerade erst zuende gegangenen Bildungsstreiks nachzubesprechen, aber auch um künftige Aktionen zu planen, findet daher am Montag, dem 22 Juni um 20 Uhr im Räte-Saal im Clubhaus ein Nachtreffen zum Bildungsstreik 2009 statt.

Zum Nachtreffen sind explizit auch Menschen eingeladen, die bei der Organisation des Bildungsstreiks bisher nicht aktiv gewesen sind.

Newsletter
Wer immer aktuell über die Aktivitäten und Pläne des Bildungsstreik-Bündnisses informiert werden will, kann unter www.tuewas.org den Bildungsstreik-Newsletter beziehen um über weitere Aktionen informiert zu werden.

Bilder
Eine Sammlung von Bildern vom Aktionstag am Mittwoch findet sich inzwischen unter http://bilder.fsrvv.de im Internet.

Moderation

Für Euch im Studio:

12.05. Julia Reuter & Florentine Fendrich
19.05. Fabian Everding & Markus Jaggo
26.05. Julia Reuter & Florentine Fendrich
02.06. Tobias Kaphegyi

Immer live Montags um 17 Uhr.
Donnerstags hört Ihr die Wiederholung um 11 Uhr.

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