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Springers Medienarchiv68

18. Januar 2010

Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten.

Genau wie der Mann in Uniform, der durch Steinwürfe nur deshalb schwer verletzt wurde, weil er einen Gast unserer Stadt, den Schah, schützen wollte.

Gestern haben in Berlin Krawallmacher zugeschlagen, die sich für Demonstranten halten.

Ihnen genügte der Krach nicht mehr, sie müssen Blut sehen.

Sie schwenken die rote Fahne und sie meinen die rote Fahne.

Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf.

Wir haben etwas gegen SA-Methoden. Die Deutschen wollen keine braune und keine rote SA. Sie wollen keine Schlägerkolonnen, sondern Frieden.

Wer bei uns demonstrieren will, der soll es friedlich tun. Und wer nicht friedlich demonstrieren kann, der gehört ins Gefängnis.

BILD

Dass Benno Ohnesorg, das Opfer der „blutigen Krawalle“ von einem Polizisten erschossen wurde, erfährt man nicht auf der Titelseite der Bildzeitung vom 3.6.1967.

In Berlin gab es bisher Terror nur östlich der Mauer. Gestern haben bösartige und dumme Wirrköpfe zum erstenmal versucht, den Terror in den freien Teil der Stadt zu tragen. [479]

Ausgerechnet der Axel-Springer-Verlag hat letzte Woche über 5000 Artikel rund um die sogenannten „’68er“-Proteste veröffentlicht, aus der Berliner Morgenpost, Bild Berlin und am Sonntag, B.Z., Welt Berlin und am Sonntag und dem Hamburger Abendblatt. „Warum?“, möchte man fragen, und glücklicherweise antwortet Matthias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Konzerns, im Editorial:

Zu wissen, wie es wirklich war, ist schon immer ein Grundimpuls des Journalismus und der Geschichtswissenschaft gewesen – und das ist auch unser Anliegen mit dem Medienarchiv68.

Zu berichten, wie es wirklich war, gilt ja nicht unbedingt als Stärke des Konzerns, zumindest nicht als Stärke seiner Paradepublikation „Bild“. Und woher kommt dieser Eindruck? Die DDR ist schuld, meint Matthias Döpfner, denn

Wenn man genauer hinschaut, ergibt sich ein differenziertes Bild. […] Manche Klischees in den Köpfen erweisen sich auch als Endmoränen einer bis heute wirkungsvollen SED-Propaganda und Stasi-Desinformation.

Doch damit erstmal genug Springer-Schelte, obwohl man diesen Verlag allein schon für seine „Bild“-Zeitung nie genug kritisieren können wird.

5890 Zeitungsseiten sind es also, die der Verlag über die Internetseite medienarchiv68.de veröffentlicht hat, eingeteilt in verschiedene Kategorien, mit kurzen Inhaltsangaben der Artikel, Karikaturen und Leserbriefe. Die Datenbank kann man sich sogar als CSV-Datei in seine Tabellenkalkulation laden, bald soll sogar noch eine Volltextsuche möglich sein, mit anderen Worten: An der Aufmachung kann man nichts aussetzen. Und zusätzlich zu den schon angesprochenen Springer-Blättern sind auch einige Artikel von Konkurrenzzeitungen aufgeführt, um die Tendenz der Berichterstattung besser beurteilen zu können.

Diese Tendenz ist manchmal aber auch einfach banal: „Demonstration: Halber Ku’damm gesperrt!“ schreibt etwa die Bild, als gäbe es nichts Wichtigeres als die freie Fahrt für freie Bürger – in diesem Fall über den Berliner Kurfürstendamm. Anders die Welt am Sonntag zum gleichen Thema: „Nach dem Marsch kam der Krawall“ und „Tumultszenen am Kurfürstendamm“ Und die Berliner Morgenpost machte – fast subtil – Rudi Dutschke für die Krawalle verantwortlich: Die Schlacht begann erst nach der Demonstration – Anfangs kam Rudi Dutschke nicht zum Zuge. [1294]

Und entweder gab es damals wirklich noch einen ernstzunehmenden RCDS – oder es wurde einfach immer nur dessen Vertreter befragt. Den Protestierenden werden die Burschenschaften gegenübergestellt und deren ordentliche Manieren gelobt. Aber warum treten die nicht öffentlich auf, um das Bild der deutschen Studierendenschaft in der Öffentlichkeit geradezurücken, fragt sich William S. Schlamm 1967?

Ich habe den Verdacht, daß schuld an der seltsamen Blutarmut der deutschen Burschenschaften in der Tat die vieldiskutierte Mensur ist: Offenbar lebt sich die sehr beträchtliche Zivilcourage dieser jungen Männer vollkommen beim Säbelfechten aus. Für den Kampf mit dem Wort bleibt nichts mehr übrig. [1296]

Dennoch: Der Springer-Verlag macht mit seinem „Medienarchiv68“ einen mutigen Schritt, den man loben muss. Man sollte und darf diese Seite allerdings nicht als schöne Geste missverstehen und abhaken, sondern die Texte auch wirklich lesen. Und andere Zeitungsverlage sollten sie als Aufforderung ansehen, ihre Berichterstattung rund um die 68er-Proteste ebenfalls zu veröffentlichen, damit man Sätze wie diesen vielleicht besser interpretieren kann:

Bei Handgemengen zwischen Polizei trat gelegentlich auch der Gummiknüppel in Aktion, obgleich die Polizei […] sich in der Regel zurückhaltend zeigte. [1297]

Und so schließen wir uns – ausnahmsweise, das will ich betonen! – dem Vorstandsvorsitzen des Verlags an, wenn er sagt:

Meine Hoffnung ist, dass dieses Medienarchiv als eine Einladung verstanden wird. Eine Einladung nicht nur an Zeitzeugen von damals, sondern ausdrücklich auch an die Generation danach, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen und herauszufinden, wie es damals wirklich war. Sollte sich daraus ein neuer Impuls für die weitere Debatte und wissenschaftliche Aufarbeitung ergeben, würden wir uns freuen.

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